Nach jahrzehntelangen Diskussionen wird langsam die Planung der Stadtbahn konkret. Zwar sollen erst rund 1/3 der Planungen abgeschlossen sein, dennoch fordert die Öffentlichkeit endlich ein Preisschild.
Bisher weigerte sich die Politik, einen Preis zu nennen. Endlich, müsste man sagen, haben Politiker es begriffen, nicht einfach „Pi-mal-Daumen“-Zahlen in den Raum zu werfen. Denn diese groben Schätzungen werden von der Presse inhaliert und als Festpreise postuliert. Werden die Planungen aber konkreter und sich Architekten, Ingenieure und Fachleute der Sache annehmen, errechnen die ganz andere Zahlen – was prompt mit entsprechenden Schlagzeilen der Presse beantwortet wird; Politiker können nicht rechnen, die Kosten würden explodieren und so weiter.
Dabei kennen wir die Prozedur aus eigener Erfahrung: Wenn man seine Stube renovieren will, muss man auch erst einmal Planen und herausfinden, wie viele Tapetenrollen, Eimer Farbe und wie viel Quadratmeter Auslegeware man braucht. Erst nach dieser Planung kann man in etwa abschätzen, wie tief man für die neue, gute Stube in die Tasche greifen muss. Das ist bei jeder Art von Bautätigkeit auch nicht viel anders, nur komplexer.
Auf der anderen Seite wurmt es Presse und Stadtbahngegner natürlich, dass darauf vertröstet wird, erst nach der Planung in der Lage sein zu können die Kosten, zu beziffern. Also wird fröhlich spekuliert und natürlich werden gleich Milliardensummen in den Ring geworfen. Je größer die Summe, desto fetter die Schlagzeile – und desto mehr Stoff für die Gegner.
Invesitionskosten
Die Kosten für Schienenstrecken sind schwierig vorherzusagen. Jede Stadt, jede Strecke, jede Straße und jeder Platz ist anders, die Ansprüche unterscheiden sich – und folglich auch die Kosten. In der Fachpresse werden, um Vergleichswerte zu erhalten, die Investitionskosten durch die Streckenkilometer geteilt; es ergibt sich so ein Kilometerpreis. Dabei zeigt sich, dass im europäischen Vergleich sich Kosten zwischen 15 und 25 Millionen Euro ergeben – in dieser Rechnung sind in der Regel die Kosten für die Fahrzeuge bereits enthalten. Anders verhält es sich teilweise in Frankreich, die auf besonders durchgestylte Fahrzeuge setzen, die ebenso besonders teuer sind. In Deutschland – respektive Hamburg – werden Stadtbahnen dagegen als reine Nutzfahrzeuge angesehen, was unserer Mentalität entspricht.
HOCHBAHN-Chef Günter Elste sagte im HOCHBAHN-Podcast [QuickTime-Video, 57 MB], dass man von etwa 20 Mio. Euro je Streckenkilometer ausgeht, da zu der eigentlichen Stadtbahn noch begleitende Maßnahmen kommen (siehe unten).
Infrastrukturprojekte dieser Art können immer als Jahrhundertbauwerke bezeichnen werden, denn sie werden für eine sehr lange Zeit gebaut und sind generell sehr teuer. Wer ahnt schon an der S-Bahn-Haltestelle Reeperbahn/Altona, dass der Tunnel, durch den man gerade gefahren ist, den sog. City-Tunnel, 975 Millionen DM gekostet hat? Eröffnung 1981, 12 (in Teilen 14) Jahre Bauzeit, 8 Kilometer. Ergibt einen Kilometerpreis von ≈ 121,88 Mio. DM – wohlgemerkt: Preisstand von vor 30 Jahren. Hamburg berappte seinerzeit 79,5 % der Kosten, was ein einmaliger Ausrutscher war.
Wer sich mit der S-Bahn auf den Weg nach Harburg/Neugraben macht, fährt auf einer Infrastruktur, die sagenhafte 1.300 Millionen DM (inkl. Fahrzeuge) kostete; 11 Jahre Bauzeit, 23,5 km lang, Kilometerpreis: ≈ 55,32 Millionen DM, Preisstand 1984. Hier trug Hamburg „nur“ noch 52% der Kosten.
Die 2008, nach jahrelangem hin-und-her, eröffnete Flughafen-S-Bahn (3 km, eine Station) schlug je Kilometer mit ≈ 93,3 Millionen Euro zu Buche (gesamt: 280 Mio. Euro, Hamburgs Anteil: 40%). Nach derzeitigem Stand wird die im Bau befindliche U4 (4 km, 2 Stationen) 323,6 Millionen Euro kosten, was 80,9 Millionen Euro je Kilometer entspricht.
Zur Veranschaulichung dient folgende Tabelle; die prognostizierten Kosten der Stadtbahn mit 20 Mio./km wurden auf bis zu 25 Mio./km erweitert.
Bei diesen Zahlen mutet es schon äußerst merkwürdig an, das ADAC und Junge Union den U-Bahnbau als kostengünstigere Variante fordert. Auch die FDP – die fassungsloserweise noch immer als die Partei gilt, die sich mit Finanzen auskennen würde – liegt haushoch daneben. Fairerweise muss man anmerken, dass es den Protagonisten kaum um den quantitativen und qualitativen Ausbau des Nahverkehrs geht, sondern eher darum, diesen zu verhindern.
Die Städte im In- und Ausland (bis hin nach Vancouver oder Jerusalem) setzen nicht aus Jux auf das System Stadtbahn, sondern weil es schlicht die preiswerteste Möglichkeit ist, den Nahverkehr innerstädtisch auszubauen und gleichzeitig (was im U- und S-Bahnbau praktisch überhaupt nicht vorkommt) den öffentlichen Raum attraktiver zu gestalten. Kurzum: Die Stadt lebenswerter zu machen und aufzuwerten. Als Nebeneffekt ergibt sich eine deutlich (!) kürzere Bauzeit.
Stadtentwicklung und Aufwertung
Beim Bau der Stadtbahn will die Politik die Gelegenheit nutzen, den kompletten Straßenraum attraktiver zu gestalten. Soll heißen: Neue Geh- und Fahrradwege werden ebenso entstehen, wie neue Baumreihen und neue Straßenbeleuchtung. Auch der Straßenbelag für Autofahrer soll eine Aufwertung erfahren. Versorgungsleitungen wie Wasser, Abwasser, Strom und Telefon werden wohl ebenfalls dazugehören.
Ziel ist es, dass der öffentliche Raum nach dem Bau der Stadtbahn für alle Anwohner, Händler und Besucher deutlich attraktiver und lebenswerter sein soll, als davor. Obendrein würde es bedeuten, dass nicht in ein paar Jahren wieder alles aufgebuddelt wird, weil man z.B. die Abwasserrohre auswechseln muss.
Ein schöner Plan und dagegen dürfte niemand ernsthaft etwas haben. Für die Stadtbahn ergibt sich aber das Problem, dass es die Kosten das Nahverkehrsprojekt an sich verteuern würde, was schlicht unfair ist; neue Geh- und Radwege haben mit der eigentlichen Stadtbahn nichts am Hut. Diese Kosten müssten getrennt betrachtet und finanziert werden. Wenn die Politik es richtig anstellt, werden nur die eigentlichen Stadtbahnkosten publiziert, mit dem Hinweis, dass man eine gewisse Summe dazulegt, um die Gelegenheit zu nutzen den öffentlichen Raum attraktiver zu gestalten. Allerdings ist diese Betrachtungsweise unüblich, da der Mensch lieber mit Gesamtkosten hantiert und argumentiert.
Investitions- und Betriebskosten
Man hält sich auch ungern mit kleinlichen Dingen, wie die Unterscheidung zwischen Investitions- und Betriebskosten, auf. Aber da ist nun einmal doch ein wichtiger Unterschied: Investitionskosten müssen einmalig finanziert werden, während Betriebskosten laufende Posten sind. Investitionen sind in einer Marktwirtschaft wichtig; Sie sichern nicht nur Arbeitsplätze, in günstigen Fällen sorgen sie hinterher auch für geringere Betriebskosten. Das kennt jeder Hausbesitzer, der seine alte Ölheizung gegen eine moderne Anlage ersetzt. Auch er hat erst einmal eine hohe Summe zu investieren – aber dabei die Aussicht, auf längere Zeit Betriebskosten zu sparen. Das „grüne Gewissen“ gibt’s gratis dazu.
Die erste Strecke
Man braucht nicht in eine Kristallkugel zu blicken, um zu erkennen, dass der erste Streckenabschnitt teurer wird, als nachfolgende Streckenerweiterungen. Denn hier werden die Kosten für den Bau des Betriebshofes mit enthalten sein. Auf einem Betriebshof werden die Stadtbahnzüge gewartet und gereinigt, auch übernächtigen sie hier geschützt vor Vandalen.
Der Betriebshof ist dann auch der Knackpunkt bei den Betriebskosten. Richtig ist, dass es eine gewisse Streckenlänge braucht, damit das Verhältnis Betriebskosten vs. Verkehrsleistung in einem vernünftigen Einklang gebracht werden kann. Als Argumentation gegen die Stadtbahn taugt das aber nicht, im Gegenteil: Es spornt eher dazu an, das Streckennetz zügig zu erweitern. Man kann davon ausgehen, das spätestens mit der Umstellung der Metrobuslinie 5 der Kostendeckungsgrad der Stadtbahn gesunde Sphären erreichen wird, von steigenden Fahrgeldeinnahmen mal ganz zu schweigen.
Finanzierung
Was Presse und Stadtbahngegner besonders gerne darstellen: Hamburg würde die Stadtbahn komplett aus der eigenen Tasche finanzieren. Das ist schlicht und ergreifend unwahr. Die Bundesregierung stellt reichlich Fördergelder für derartige Investitionen bereit, knüpft daran aber natürlich auch gewisse Bedingungen. Eine Bedingung ist beispielsweise, dass die Stadtbahn auf eigener Trasse verläuft, also nicht mit dem Straßenverkehr ins Gehege kommt (Straßenbahnen werden also nicht gefördert). Logischerweise muss sich das Ganze auch lohnen – berechnet per standardisierter Kosten/Nutzenanalyse. Kommt dabei ein Wert von 1 oder mehr heraus, fließen die Fördergelder. Nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz können bis zu 60% vom Bund bezuschusst werden.
Das bei Nahverkehrsprojekten Bundesmittel fließen taucht bei der Presse leider nur selten, bei den Gegnern selbstredend nie auf. Für die im derzeit im Bau befindliche U4 überweist der Bund z.B. über 126 Mio. Euro, über 2 Mio. Euro wurden später noch draufgepackt.
Ob – und wie weit – der Bund für die Hamburger Stadtbahn seine Schatulle öffnen wird, kann naturgemäß erst dann gesagt werden, wenn die Planungen abgeschlossen sind und die Kosten einigermaßen sicher prognostiziert werden können. Aber um eine wirklich seriöse Diskussion über die Kosten zu führen, muss man eben etwas Geduld haben. Sofern man überhaupt auf eine seriöse Diskussion wert legt. Und da sind gewisse Zweifel angesagt.
Anmerkung
Trotz der hier gezeigten Kilometerpreise ist dringend davor zu warnen, diese auf ein angedachtes Gesamtnetz hochzurechnen. Das ist – und bleibt, selbst wenn die Kosten der ersten Strecke prognostiziert werden können – schlicht und ergreifend unseriös. Das Gesamtnetz (bzw. Zielnetz) ist eine Mutmaßung, eine Idee; weder projektiert, noch fest geplant. Zudem ist ein Zielnetz eine Geschichte, die über Jahrzehnte geplant, realisiert und finanziert wird. Heute zu sagen, die Stadtbahn würde X Milliarden kosten, ist Humbug. Selbst wenn, wäre die Milliarde nicht 2012 zu wuppen, sondern verteilt sich über viele, viele – und noch mehr – Jahre. Dazwischen liegen furchtbar viele Wahlen und noch mehr Presseartikel.
Auf ein Zielnetz kommt es auch nicht an. Eine Stadtbahn ist kein Selbstzweck, sondern ist eine technische Einrichtung, viele Menschen bequem zu ihrem Ziel zu bringen – und das bitte schön wirtschaftlich zu vernünftigen Konditionen. Nicht zu vergessen: umweltfreundlich, leise und zuverlässig.
Nächsten Sonntag geht es um die oft zu lesenden Argumente gegen die Stadtbahn.
— OR
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