Unsere Politiker werden nicht Müde zu betonen, wie ungeheuer wichtig doch ein funktionierender öffentlicher Nahverkehr in einer Großstadt wie Hamburg ist. Mobil mit Bus & Bahn sind schließlich finanzschwache Bürger. HVV-Kunden verstopfen weniger die Straßen, die für den Wirtschaftsverkehr wichtig sind, und da ist ja noch die Sache mit dem Klima- und dem Umweltschutz.
Ja, der Nahverkehr ist furchtbar wichtig, und deshalb müsse man ihn auch Päppeln und attraktiver gestalten. Sicher, hierfür muss er auch ausgebaut werden, und es werden ja auch unkonkrete Visionen in den Himmel gemalt, von wegen modernster Busverkehr in Europa und so. Aber – leider, leider – darf es bitte nichts Kosten und es bräuchte schließlich auch Zeit, Konzepte zu entwickeln.
Während der Ausbau vor sich hindümpelt, sind die Behörden im Streichen und Abwehren von konkreten Verbesserungen auf Zack. Oder, auch beliebt, groß angekündigte Vorhaben werden heimlich, still und leise entsorgt.
Es gibt kaum einen Bereich in der lokalen Politik, wo Sonntagsreden und tatsächliches Handeln derart auseinanderdriften, wie beim öffentlichen Personennahverkehr. (Dieses Phänomen gilt im Übrigen auch für Presse und nicht wenige Bürger.)
Im Folgenden eine kleine Liste, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, über gestrichene, fragliche und genehmigte Verkehrsprojekte. Wie in diesem Blog nicht anders zu vermuten mit Schwerpunkt auf den Nahverkehr.
Gestrichen
Stadtbahn. Weil man kein Geld für ein angedachtes Stadtbahn-Gesamtnetz hat, wird praktischerweise nicht einmal angefangen, ein Teilstück zu bauen. Die Begründung ist perfide. Schließlich hat kein Schwein vor 100 Jahren beim Bau der Ringlinie (heutige U3) gefragt, was wohl eines Tages die U4 in die HafenCity kosten wird. Der Erste Bürgermeister, Olaf Scholz, Chef der ehemaligen Arbeiterpartei SPD, tut in öffentlichen Bekundungen so, als müsse das Gesamtnetz von jetzt auf gleich durchfinanziert und bezahlt werden. Dass sich so ein Verkehrsmittel zusammen mit der Stadt entwickelt, und wir hier über einen Ausbau reden, der sich mindestens über eine Dekade erstreckt, macht diese Begründung zu einer fadenscheinigen.
Inzwischen ist die politische Klasse an einem Punkt angekommen, wo sie sich nicht einmal mehr dafür schämt, gerade Bramfeld und Steilshoop zum ungezählten Male regelrecht verarscht veräppelt zu haben.
Gesparte Investitionskosten, Hamburger Anteil: 57 Millionen Euro.
Klimatag. Der „Klimatag“ bestand aus drei Komponenten: Eine Veranstaltungsmeile in der Stadt, bei denen Verbände, Unternehmen und so weiter sich präsentieren konnten; die kostenlose Nutzung aller im HVV versammelten Verkehrsmittel sowie die freundliche Bitte an Autofahrer, ihr Gefährt stehenzulassen („autofreier Sonntag“). Letzteres ohne jegliche ordnungspolitische Maßnahme flankiert, was zur nicht überraschenden Erkenntnis führt, dass nur herzlich wenige ihr Auto haben stehenlassen.
Der Einnahmeausfall des HVV lag bei etwa 200.000 Euro (mit zusätzlichem Verkehr und anderer Maßnahmen etwas über 250.000 Euro), den die Stadt ausglich. Der neue Senat hat die Aktion beeredigt, was für den Nahverkehr für sich genommen keinen großen Verlust darstellt. Jedoch – und das verursacht den unangenehmen Beigeschmack – steht die Streichung im krassen Gegensatz zu dem sonntäglichen Geschwätz der Politiker, man müsse mal was wegen der Umwelt und dem Klima tun.
Gesparte Kosten: ca. 500.000 Euro, je Aktion.
Betriebserweiterung S2. S-Bahn-Chef Kay Uwe Arnecke weckte im April in der „Bergedorfer Zeitung“ die Begierde, die nur zeitweilig verkehrende Verstärkerlinie S2 auch zwischen 17.30 und 18.30 Uhr anzubieten. Erforderlich wären sechs zusätzliche Fahrten. Zusammen mit der S21 hätte sich so auf dem Bergedorfer Ast ein um 60 Minuten verlängerter 5-Minuten-Takt in der abendlichen Hauptverkehrszeit ergeben. Eine entsprechende parlamentarische Anfrage [Drs. 20/187] wurde vom Senat weggebügelt: Es gäbe keinen Bedarf und die Sache wäre auch zu teuer.
Abgewendete Kosten: rund 473.000 Euro pro Jahr.
Verstärkung S3/S31 (Projekt S32). Bereits Ende dieses Jahres sollte, so die Ankündigung von Kay Uwe Arnecke in der „BILD“-Zeitung, ein verstärkter Betrieb auf der ächzenden Harburger S-Bahn-Strecke in der Hauptverkehrszeit erfolgen. Während eine Verstärkung überaus wünschenswert ist, war die Ankündigung einer „neuen S-Bahn-Linie“ reiner Unfug. Egal, die Sache wird eh nicht so schnell kommen. Laut Senatsdrucksache [Drs. 20/214] sei man noch damit befasst, die Verstärkung betrieblich einzutüddeln und vertiefende Untersuchungen anzustellen, was wohl frühstens 2018 [sic!] abgeschlossen sein könnte. Das ist selbst für Bahnverhältnisse lächerlich langsam. Das tüchtig jährliche Kosten abgewendet wurden, ist sicherlich ein überaus angenehmer Nebeneffekt, wenn nicht gar die Hauptursache. Möglichkeit zwei: Die S-Bahn hat schlicht nicht die Züge. Dann allerdings muss sich Arnecke fragen lassen, ob er überhaupt Ahnung von seinem eigenen Unternehmen hat.
Formal ist die Verstärkung zwar nicht gestrichen, aber derart in die Zukunft verlegt, dass es praktisch auf dasselbe hinausläuft.
Abgewendete Kosten: unbekannt.
Busoffensive. Ende November 2008 lehnte sich der HVV weit aus dem Fenster und kündigte eine „Angebotsoffensive im Busnetz“ an, was ganz nach dem Geschmack der politischen Klasse sein dürfte, schließlich ist der Busverkehr so furchtbar billig. Bis auf die StadtBus-Linien 167 und 213 hat sich jedoch nicht allzu viel getan oder wurde vertagt. Offiziell wurde dies mit Abstimmungs- und organisatorischen Problemen begründet. Inoffiziell hat bereits der Vorgänger Senat bezüglich der Kosten gemurrt, denn billig ist halt nicht umsonst. Nun, zwei Jahre später, scheint das Thema still entsorgt zu sein.
Abgewendete Kosten: unbekannt.
Fraglich
S4. Die unbeliebte und dennoch stark genutzte R10 soll bereits seit Jahrzehnten bis mindestens Ahrensburg zu einer S-Bahn aufgewertet werden. Zusätzliche Gleise und Haltepunkte würden den Osten der Stadt, in dem sehr viele Menschen wohnen, perfekt anbinden. Die Sache zieht sich weiter wie ein Kaugummi hin. Immerhin hat der Bund nun eine Förderung in Aussicht gestellt, Hamburg und Schleswig-Holstein und andere Beteiligte befänden sich in Gesprächen. Gut möglich, das die Kaffeekränzchen in dieser Legislaturperiode nicht zu einer Entscheidung sich werden durchringen können. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Investitionskosten (Landes- und Bundesanteil, geschätzt): ca. 400 Millionen Euro.
Genehmigt
U4. Die Verlängerung ins Niemandsland noch zubauende HafenCity bis an die Elbbrücken ist quasi unter Dach und Fach. Die U4 ist der krasse Gegensatz zur Stadtbahn. Hier fragt kein Mensch, wie teuer der Spaß wird, ob es sich rechnet, wie lange die Bauzeit ist und so weiter. Auch von den Stadtbahn-Gegnern, denen der Hamburger Haushalt ja angeblich über alles geht, hört man nichts. Gleiches gilt für den „Steuerzahlerbund“. Die Presse schreibt nichts von wegen „Prestige“.
Obwohl weder Planung, Finanzierung, anschließende Betriebskosten oder überhaupt der Sinn des Ganzen feststeht, ist der Bau ausgemachte Sache. Der Grund ist profan: Da lebt kaum jemand, der gegen den Bau sein könnte. Für ein Massenverkehrsmittel wie die U-Bahn grotesk.
Dafür steht immerhin schon fest, dass das Geld auf gar keinen Fall für den „Sprung über die Elbe“ reichen wird, in Stadtteile, wo heute bereits Zigtausende Leben, die sehr wohl nahverkehrsaffin sind. Selbstverständlich wird es auch keinen Verknüpfungsbahnhof zwischen U4 und der daneben fahrenden S-Bahn (S3, S31) geben.
Denn mal im Ernst: Was haben Harburger, Veddeler oder gar Wilhelmsburger bitte schön in der schicken HafenCity verloren? Die stören doch ebenso nur die Optik, wie Steilshooper am Winterhuder Marktplatz.
Investitionskosten (Landes- und Bundesanteil, geschätzt): wird nachgereicht.
A26 bis Hamburg. Einen „verkehrspolitischen Quantensprung“ (Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof) sei der Weiterbau der A26 bis Hamburg. „Nun können wir eines der wichtigsten Verkehrsprojekte im Norden in Angriff nehmen“, freut sich Verkehrssenator Frank Horch per „Welt am Sonntag“. Das 220 Millionen Euro günstige Verkehrsprojekt stellt die Grundlage für die heiß ersehnte Hafenquerspange dar, die mit läppischen 784 Millionen Euro taxiert wird. Zusammen wollen also über 1.000 Millionen Euro in frischem, duftenden Asphalt investiert werden. Mit allerlei Begleitmaßnahmen, wie den Ausbau der A7 von vier auf sechs spuren (wieso nicht gleich 12?), was allein 40 Millionen kostet, wird man sicherlich die 1.500-Millionen-Euro-Marke knacken und die Herzen beim ADAC erobern können.
So sieht der großartige Beitrag in Sachen Haushaltssanierung, Klima- und Umweltschutz aus: Weg mit dem „Klimatag“, her mit der Autobahn. Ist ja auch ´ne Bahn. ♦
— Fotos/Grafiken: Rycon.
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