Konsistenz von Pudding

Markus Merz hat im Beitrag „Billig ist nicht umsonst (1/2)“ in einem Kommentar vorgeschlagen, die angekündigte(n) Alternative(n) zur Stadtbahn tabellarisch aufzuarbeiten, um einen besseren Überblick zu bekommen.

Hierzu muss jedoch erst einmal festgehalten werden, was denn eigentlich vom neuen Ersten Bürgermeister, Olaf Scholz, SPD, angesagt wurde. Kleiner Auszug aus seiner Regierungserklärung vom 23.03.2011 [PDF, S.18]:

Deshalb müssen wir nach neuen Wegen suchen, die absehbaren Engpässe zu überwinden. Dazu werden wir kein neues System einführen, sondern die bestehenden Systeme weiter entwickeln und von Grund auf erneuern.
Dafür haben wir eine konkrete Vision: Hamburg soll das modernste Bussystem Europas bekommen. Das ist eine kluge Alternative zur Stadtbahn, und diese Alternative wird auch die nötige Akzeptanz finden. Wir wollen die Kapazitäten des Bussystems um ein Drittel steigern und ab 2020 nur noch emissionsfreie Busse anschaffen. Wir wollen weitere Busspuren bauen und den Bussen durch entsprechende Ampelschaltung an Kreuzungen Vorrang einräumen. Und wir wollen Bussysteme entwickeln helfen, die evtl. mit einer elektrischen Spurführung an den Komfort und die Leistungsfähigkeit einer Stadtbahn heranreichen.

Das klingt zwar alles wunderbar, hat aber argumentativ die Konsistenz eines Puddings, und den kann man bekanntlich schlecht an die Wand (oder in eine Tabelle) nageln. Allein schon die Absage gegen ein „neues System“ und die Idee ein paar Sätze später, ein eventuell Per „elektrischer Spurführung“ (?) versehenes „Bussystem“ zu „entwickeln“ … Hierbei würde es sich ja gerade um ein gänzlich neues System handeln, zu allem Überfluss auch noch um ein experimentelles.

Etwas Handfestes, Konkretes, Berechenbares lässt sich jedenfalls nicht herausdestillieren; Scholz hat seiner „Vision“ auch noch ein „eventuell“ spendiert, was mit „eventuell auch nicht“ übersetzt werden kann. Pudding, also.

Emissionsfreie Busse

Bisher ist immerhin erkennbar, dass der neue Bürgermeister noch nicht so ganz den Durchblick in Nahverkehrsdingen hat. Darauf deutet auch die Ankündigung hin, 2020 – also gerade mal in 9 Jahren – nur noch „emissionsfreie Busse“ anzuschaffen. Gemeint kann hier nur die Brennstoffzelle sein, andere Formen (O-Bus) sind lediglich Linienweise möglich, die gesamte Flotte ließe sich damit nicht umstellen.

Aber auch das klingt auf den ersten Blick wunderbar, jedoch gibt der Markt keine solchen Busse her – ihre Betriebssicherheit steckt noch in den Kinderschuhen. Sehr überschaubar ist die Flotte an solchen Bussen, die zurzeit in Hamburg fahren: Null. Bestellt sind zwar eine Handvoll, nur mit dem Liefern klappt es nicht so richtig. Ferner ist derlei Technik nicht als Großserie bezahlbar, die Preise liegen jenseits von Gut und Böse.

Ziemlich gemein ist die zwischen den Zeilen zu lesende Unterstellung, Hamburg hätte kein modernes Bussystem; dieses müsse erst „von Grund auf“ aufgebaut werden. Das Gegenteil ist richtig. Aus Ermangelung von alternativen blieb den Verantwortlichen gar nichts anderes übrig, als das Bussystem immer weiter auszubauen; sonst hätten wir ja wohl kaum die oft zitierte, meistgenutzte Buslinie Europas (die 5), welche sogar mit einer relativ speziellen Konstruktion, dem sogenannten „XXL-Bus“, bedient wird.

Ebenso wurde über die Jahre beim HVV nicht geschlafen. Per Linien-Reform wurde im Sommer 2001 das Produkt Metrobus eingeführt, vormals fragmentierte Linien zusammengefasst, neu geordnet und durch einen Netzplan den Fahrgästen zugänglich gemacht. Honoriert wurde dies vom Kunden mit enorm steigenden Fahrgastzahlen. Berlin und München adaptierten sogar das Metrobus-Konzept, welches mit von der Firma Hamburg-Consult erdacht [PDF] wurde. Inzwischen gibt es nicht wenige Linien, die zum Teil unter 5 Minuten verkehren oder durch Linienüberlagerung sich ein solcher Takt ergibt.

Sämtliche Rationalisierungsmöglichkeiten bei den Betriebsprozessen dürfen als ausgereizt gelten. Mit der langsam anstehenden Einführung von Betriebshof-Managementsystemen (BMS) wird das letzte Quäntchen gehoben. Ein hochkomplexes, technisches Gebilde, das irgendwann einen eigenen Beitrag wert ist. Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass unsere Busbetriebe nun wirklich nicht hinterm Mond leben.

Mehr Busse auf Hamburgs Straßen

Busflotte, der drei großen:

HOCHBAHN, Hamburg: 718
VHH, Bergedorf: 382
PVG, Schenefeld: 181
Gesamt: 1281 Fahrzeuge

Inklusive einer Handvoll Oldtimer; Stand 2009; Quelle: jeweilige Unternehmensberichte.

Bleibt noch die Ansage, das Bussystem um ein Drittel in seiner Kapazität zu erhöhen. Über den Daumen gepeilt sind das zwischen 300 und 400 (je nach Fahrzeugtyp) zusätzliche Busse, ungleichmäßig verteilt auf die Unternehmen HOCHBAHN und VHH PVG, welche dann über Hamburgs Straßen rollen. Wann, wo und wie die zusätzlich aufzubauende Kapazität eingesetzt werden soll, ist noch unklar.

Von welchem Baum man das zusätzliche Fahrpersonal pflücken will, benötigt werden circa 780 bis über 1040 Nasen, ebenso. (Auf jedes Fahrzeug kommen statistisch etwa 2,6 Fahrer. Variiert, je nachdem welche Arbeitszeiten im jeweiligen Unternehmen gelten.)

Derzeit dürften die zuständigen Experten sich verschiedene „Bussysteme“ respektive Alternativen angucken und den Rechenschieber betätigen, um dem Ersten Bürgermeister demnächst in einer schicken Präsentation unter die Nase zu reiben, dass seine Gedanken zwar alle gut gemeint seien – aber entweder zu teuer oder dem Bürger noch weniger schmackhaft zu machen sind, als die Stadtbahn.

Sollten – irgendwann, eventuell, wer weiß – statt eines wabbeligen Puddings, handfeste Konzepte auf dem Tisch liegen, steht einer tabellarischen Gegenüberstellung nichts im Wege.

Bis dahin heißt es aber leider weiter im Pudding stochern. Guten Appetit.

6 responses to this post.

  1. Posted by Mitropa1 on 19.04.2011 at 10.34

    Das Problem von Herrn Scholz ist das, er hat sich festgelegt keine Stadtbahn zu wollen, warum auch immer. Und jetzt muß er eine Alternative suchen, die es nicht gibt. Das beweisen ja die weltweit gescheiterten Spurführungssysteme außer der Schiene. Selbst die Gummibereiften U Bahnen in Paris und Lyon werden auch durch ein Gleis mit 1435 mm Spurweite geführt.
    Warum sich Herr Scholz so weit aus dem Fewnster gelehnt hat, darüber mag man trefflich spekulieren, aber statt vorsichtig den Rückzug anzutreten verstrickt er sich immer mehr in Systeme, die es nicht gibt und nicht geben wird. Den elektrisch geführten Spurbus gab es kurzzeitig in Fürth. Das System hat nur den Nachteil, wenn bei z. B. 60 km/h die Spurführung aussetzt, kann der Fahrer gar nicht so schnell eingreifen, ehe der Bus die nächste Hauswand tangiert, was selbst bei mechanischer Spurführung von Lille bis Essen immer wieder bewiesen wurde. Bleibt der Fahrer am Lenkrad, kann er den Bus von der Spur ziehen. Zudem ist kein Vorteil gegenüber dem handgelenkten Bus erkennbar von der weiterhin beschränken Gefäßgröße, eben der eines Busses, ganz zu schweigen.

  2. @Rycon Du bist gemein :)

    Oder anders gesagt, irgendwann, irgendwo, irgendwie und nicht nur eventuell, muss der politische Pudding in harte Konsistenz übergehen. Und dabei helfen tabellarische Übersichten ungemein.

    In Sachen ‚Spurbusse‘ fand ich http://www.nahverkehrhamburg.de/strassenverkehr/2011-04-05-spurbusse-fuer-hamburg-teures-experiment.html ziemlich erleuchtend.

  3. Posted by Rycon on 19.04.2011 at 14.45

    @Mitropa1: Olaf Scholz hat sich nicht prinzipiell gegen das System Stadtbahn festgelegt, sondern es als nicht-finanzierbar abgehakt. Dabei geht es ihm nicht um die ersten Kilometer, sondern er ist der Meinung, dass auch die letzten Meter durchfinanziert sein müssen. Er nimmt so Bezug auf die Horrorschlagzeilen, die Stadtbahn würde mindestens 2.000 Millionen Euro kosten, um kostendeckend zu arbeiten.

    @Markus: ;-)
    Wir müssen erstmal Handfestes abwarten. Der neue Senat ist ja noch grün hinter den Ohren und die Leute müssen sich erstmal sortieren. Ich finde, Zeit sollte man ihnen schon einräumen.

    Der Artikel auf http://www.nahverkehrhamburg.de finde ich sehr gelungen und gut auf den Punkt gebracht.

  4. Posted by Mitropa1 on 19.04.2011 at 18.47

    @Rycon
    Das Argument der aktuellen nicht Finanzierbarkeit der Stadtbahn läßt sich natürlich nicht ganz widerlegen, wenn man weitere 100 Mio. Euro für die Elbphilharmonie aufbringen muß. Aber ich fürchte, dass Hamburg dann am besten den Stadtkonkurs anmelden sollte, da nichts mehr finanzierbar ist.
    Die Stadtbahn ist jedenfalls das schlechteste Sparziel insbesondere dann, sollte die SPD länger als eine Legislaturperiode regieren wollen. Denn im Gegensatz zum Ausbau des Busnetzes, so er nach Scholzscher Vorstellung überhaupt möglich sein sollte ohne Verhältnisse wie in Kairo oder den Großstädten der Dritten Welt zu erreichen, hat die Stadtbahn nicht nur ausreichend Kapazität, sie spart der Stadt bares Geld wenn sie erst einmal fährt. Das ist ja die Krux. Die Stadtbahn ist volkswirtschaftlich und nicht nur verkehrlich sinnvoll. Damit ist das Argument der Kosten, dank Abschaffung der Infrastruktur durch die SPD bis 1978 kurzfristig richtig, wenn die Infrastruktur allerdings erst einmal wieder da ist umso unrichtiger. Übrigens schrieb die Straßenbahn als einziges Verkehrsmittel in den 50 ger Jahren noch schwarze Zahlen und es hatte die SPD 1978 schon einmal zugestanden dass die Stillegung ein Fehler war als sie sicher sein konnte, dass diese Erkenntnis keine Folgen mehr haben würde. Da fragt man sich schon, was lief von damals bis heute hinter den Kulissen. Zumal ja auch einige Partnerstädte Hamburgs der Stadt und ihrem 1. BGM zum Thema Stadtbahn mit eigenen Erkenntnissen durchaus mit Rat und Tat zur Seite stehen könnten.

  5. Kleiner Formulierungsvorschlag an Olaf Scholz – Man muss dem OB ja auch konstruktiv unter die Arme greifen:

    „Bei konkreter Sichtung der vom Markt angebotenen Lösungen bleibe ich bei meinem Finanzierungsvorbehalt. Die Priorität des Senats liegt weiterhin auf einer mittel- und langfristigen Konsolidierung des Gesamthaushalts. Wie allerdings unsere Verkehrsexperten und unabhängige Sachverständige, nach erneuter eingehender Prüfung, glaubhaft darstellen, ist generell die Lösung ‚Schienenverkehr‘ für einen zukunftssicheren und umweltfreundlichen Nahverkehr das Mittel der Wahl.“

  6. Posted by Karlo on 27.04.2011 at 12.05

    Rycon, der Mangel an Busfahrern wird doch bestimmt ab dem 1.Mai beseitigt sein, wenn die osteuropäischen Grenzen geöffnet sind. Das wird doch bestimmt kostengünstiger für die VU`s. Viel Deutsch brauchen die ja nicht lernen, man sieht es doch bei Jasper.

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